Der wohl ehrlichste Film, der auf dem französischen Volksmärchen "Die Schöne und das Biest" beruht, dürfte in dem Werk "La Bête" von Walerian Borowczyk zu finden sein. Vom Grundsatz gesehen unterscheidet sich "La Bête" vom Märchen, das eigentlich eine zarte Liebesromanze zweier sehr unterschiedlicher Personen ist, die aufgrund ihrer Andersartigkeit alles andere als füreinander bestimmt sind. "La Bête" greift diese Thematik auf, doch statt zarter Liebesbande geht es um rein sexuelle Ausschweifungen. Borowczyks Film ist aber alles andere als plump inszeniert, sondern wurde mit einer sehr komplexen Handlung ausgestattet. Dies sorgt dafür, dass man als Rezensent nach Worten suchen muss, um diesen phantastischen und zu Unrecht auf den Index verstoßenen Film zu würdigen. Die Indizierung wurde nach 24 Jahre von Bildstörung aufgehoben.
Erzählt wird die Geschichte zweier Familien, die aufgrund eines Heiratsversprechens miteinander verbunden sind. Während die Familie des Marquis Pierre de l'Esperance diese Heirat unbedingt durchführen will, möchte die andere Familie lieber von einer Eheschließung absehen. Grund der Hochzeit ist die finanzielle Absicherung der de l'Esperance, um sie vor dem finanziellen Ruin zu bewahren. Spannungen zwischen den Familien sind vorprogrammiert und bald wird die Absicht erkennbar, auch über Leichen zu gehen, nur um mit allen Mitteln die Heirat durchführen zu können. Zusätzliche Probleme gestalten sich durch die testamentarisch geregelte Trauung, die nur der Kardinal Joseph de Balo vornehmen kann. Dieser ist wenig erbaut über die Familie des Marquis - einer Sippe von Heiden - auch weil sein eigener Bruder, der Duc Rammondelo, sich auf dem Anwesen aufhält. Die Spannungen steigern sich von Minute zu Minute und jeder der anwesenden Personen besitzt ein Geheimnis. Würde es nicht schon reichen, dass sich die Personen merkwürdig verhalten, kommt auch noch ein Familienfluch zur Sprache, demzufolge der Bräutigam die Hochzeit nicht überleben wird. Nun mischen sich Fiktion und Realität miteinander, ohne wirklich preiszugeben, was nun Traum und was Wirklichkeit ist.
Mehr von der Geschichte sollte nicht erzählt werden, außer natürlich, dass die Schöne auf das Biest trifft. Über diesen märchenhaften Ansatz hinaus gibt sich Film kritikfreudig am französischen Adel. Hinter verschlossenen Türen geschehen nämlich Dinge, mit denen man in der feinen Gesellschaft nicht gerechnet hätte. Borowczyk kennt keine Grenzen und so vergnügt sich beispielsweise die "weiße" Tochter des Hausherrn mit dem "schwarzen" Diener oder ein für die Hochzeitszeremonie eingeladener Priester vergreift sich an seinem Messdiener. Besonders die katholische Kirche fand seinerzeit wenig Gefallen an diesen Ideen, die aber gar nicht so weit hergeholt erscheinen. Weiterhin dürfte der für die damalige Zeit doch sehr provokante, weil explizite Bezug zur Sexualität ein Grund für die einstige Indizierung sein. Aus heutiger Sicht ist diese Zensurmaßnahme natürlich unbegründet, was die spätere Listenstreichung untermauert. Ungewöhnlich ist der Inszenierungsstil Borowczyks jedoch allemal, denn es dürfte nicht jedermanns Sache sein, in der Anfangsszene beim Liebesakt zweier Pferde in Nahaufnahme beizuwohnen. Abwechselnd wird das erigierte Glied des Hengstes und die zuckende Vagina der Stute gezeigt, bis es zur Vereinigung kommt - immer mit Zwischenschnitte auf Mathurin, dem Sohn des Marquis, der von diesem Akt sehr fasziniert ist. Spätestens dann, wenn Romilda de l'Esperance auf das Biest trifft, bricht Borowczyk jegliche Tabugrenzen, was aber nie so explizit dargestellt wird, als dass es als Pornografie durchgehen würden. Borowczyks Bilder dienen lediglich als Katalysator für die eigene Vorstellungskraft.
Für zwischendurch ist "La Bête" sicherlich nicht, aber er ist ein Märchen für Erwachsene mit einer verträumten Optik, die geradezu mystisch wirkt. Da "La Bête" sehr dialoglastig ausfällt, wird einiges vom Zuschauer abverlangt. In jedem Gespräch könnte ein neues, kleines Geheimnis offenbart werden, wodurch die völlige Konzentration gefordert wird, wenn es auch nicht immer leicht fällt, den dekadenten Dialogen des Adels zu folgen. Wenn man sich aber darauf eingestellt hat und sich der Atmosphäre hingegeben hat, entkommt man dem Sog von "La Bête" nur schwer und man gleitet förmlich in den Film hinein. Denn Borowczyk erzählt eine interessante und stimmige Geschichte, die weit mehr zu bieten hat als die oft angesprochenen, anstößigen Szenen, für die der Film bekannt ist. "La Bête" ist sowohl Horrorfilm als auch Drama, der auch auf beiden Ebenen sehr gut funktioniert, und somit ein kontroverser Film, der besonders für Freunde der anspruchsvolleren Unterhaltung ein wahre Offenbarung darstellt. Nicht einfach, aber einfach fantastisch entwickelt sich "La Bête" zu einem wahren Klassiker.
Mit der fünften DVD-Produktion bringt Bildstörung Walerian Borowczyk Interpretation von "Die Schöne und das Biest" in einer nahezu perfekten Veröffentlichung auf den Markt. Neben der guten Bild- und Tonqualität fällt besonders die geschmackvolle Aufmachung der Veröffentlichung ins Auge. Kennt man die Produkte des Labels, weiß man bereits, dass jeder der in der Reihe erschienenen Titel eine herausragende Arbeit darstellt. Auch "La Bête" ist über jeden Zweifel erhaben und lässt Freudentränen aufkommen, denn solch eine Würdigung hätte man bei Borowczyks Film nicht erwartet. Zudem zeichnet sich die DVD mit grandiosen Extras aus, die dafür sorgen, dass die Wertigkeit noch weiter unterstrichen wird. Abermals eine absolute Kaufempfehlung für eine Veröffentlichung aus dem Hause Bildstörung, die alternativ auch in einer auf 500 Stück limitierten Sammler-Edition zu bekommen ist. In dieser Auflage befindet sich eine um 4 Minuten längere Fassung des Films auf einer separaten Bonus-DVD. Diese Fassung entspricht der ominösen, lediglich in Holland erschienenen Langfassung und stellt möglicherweise eine Art Rohschnitt dar, der für die offizielle 94 Minuten-Veröffentlichung noch etwas gestrafft wurde. Um den Schuber vor den FSK-Flatschen zu schützen, wurde noch ein Umschlag um den Schuber gelegt. Der Fan wird diesen Einsatz des Labels dankend würdigen.
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